Zusammenfassung der Ergebnisse der ersten Erhebung der COVID-19 Studie

Geschrieben von Sarah Daimer, basierend auf dem Preprint: medRxiv/2020/182980

1. Entwicklung der Corona-Pandemie

Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch des Cornoavirus SARS CoV-2 (COVID-19) zur Pandemie. Zu diesem Zeitpunkt waren weltweit bereits mehr als 118 000 Menschen erkrankt. Zuerst China führte am 23. Januar 2020 einen landesweiten Lockdown und Ausgangssperren ein. Aufgrund der schnellen Ausbreitung folgten auch viele europäische Länder diesem Vorbild. Im März 2020 veröffentlichte die WHO eine Erklärung, in der sie auf die möglichen Folgen dieses Ausnahmezustands der Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen auf die psychische Gesundheit hinweist.

Die Studie untersuchte den Unterschied zwischen den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Großbritannien und Deutschland. Deutschland ging schnell in den Lockdown und schaffte es so, die Zunahme von Infektionen wirksam einzuschränken, während Großbritannien aufgrund eines verzögerten Lockdowns mit einer viel höheren Ausbreitung des Virus konfrontiert wurde. Die Entwicklung der Fallzahlen wird in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1: Entwicklung der Fallzahlen in Deutschland und Großbritannien. Während Deutschland früh Ausgangsbeschränkungen einführte, traten diese in Großbritannien erst einige Tage später in Kraft, was in einem deutlich höheren Anstieg der Fallzahlen resultierte.

Die Auswirkungen wurden mit Hilfe einer Online-Umfrage, die Fragen zu den Auswirkungen auf die Lebensumstände enthielt, sowie mit zwei psychologischen Fragebögen, der Symptom-Checkliste (SCL-27) und dem Schizotypischen Persönlichkeitsfragebogen (SPQ), bewertet. Das Ziel des Fragebogens war es, die Frage, ob bzw. wie die Corona-Pandemie messbare Auswirkungen auf die mentale Gesundheit hat, genauer zu betrachten.

Die Daten wurden über fünf Wochen vom 27. April 2020 bis zum 31. Mai 2020 erhoben.

2. Beschreibung der Stichprobe

Insgesamt haben den Fragebogen 239 Personen aus Großbritannien und 541 Personen, welche sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland aufhielten, ausgefüllt, wobei mehr Frauen teilnahmen. Die Stichprobe aus Großbritannien war etwas jünger als die Deutsche (UK M=39.01 Jahre, D M=45.36 Jahre). Die Verteilung wird in Abbildung 2 dargestellt.

Abb. 2. Alters- und Geschlechterverteilung der Stichprobe. Insgesamt nahmen mehr Frauen als Männer teil. Das durchschnittliche Alter war in der deutschen Stichprobe höher.

3. Belastung, Auswirkung und persönliche Beurteilung von COVID-19

3.1 Infektionszahlen

Die Befragten aus Großbritannien berichteten über mehr Infektionen und COVID-19-typischen Symptomen (vgl. Abb. 3).   

Abb. 3. Prozentanzahl der vermuteten Covid-Infektionen getrennt dargestellt nach Ländern. In der britischen Stichprobe wurde von mehr Diagnosen und Symptomen berichtet.

3.2 Bewertung der beruflichen Situation

Die Arbeitssituation erwies sich in den beiden Ländern als ähnlich. 2.9% der Personen aus Großbritannien und 3.6% der Personen aus Deutschland verloren ihren Arbeitsplatz, 50.6% (GB) bzw. 46.8% (D) arbeiteten im Homeoffice. 13.0% im Vgl. zu 17.4% berichteten von keiner Veränderung. Die Ergebnisse werden in Abb. 4 dargestellt.

Abb. 4. Auswirkungen auf die Arbeitssituation. Die Angaben zu den Veränderungen waren in beiden Ländern ähnlich.

3.3 Auswirkung auf die Familie

Die Auswirkungen auf das Familienleben unterschied sich zwischen den Ländern, wobei die ProbandInnen aus Großbritannien von stärkeren Belastungen wie Infektionsfällen und Arbeitsplatzverlusten berichteten.

3.4 Bewertung des Erlebens der Pandemie

Die Einschränkungen wurden in beiden Ländern als ähnlich stressig berichtet: 11.3% der britischen und 14.8% der deutschen TeilnehmerInnen gaben an, diese als gar nicht stressig zu empfinden, 54.8% bzw. 54.4% als mäßig stressig und 33.5% bzw. 30.9% als sehr stressig.

Interessanterweise gaben die britischen ProbandInnen trotz der Unterschiede hinsichtlich der Fallzahlen zwischen den Ländern an, weniger besorgt über ihre allgemeine Lebensstabilität zu sein und zeigten sich als hoffnungsvoller, dass die Pandemie in ihrer Region bald unter Kontrolle sein wird. Zudem machten sie sich weniger Sorgen um die allgemeine Lebensstabilität und berichteten mehr über positivere Veränderungen aufgrund der Pandemie (z.B. Zeit mit der Familie, kein Pendeln, Zeit für sich selbst).

3.5 Einschätzung der eigenen Gesundheit

Die Angaben zur Einschätzung unterschieden sich zwischen den Ländern, wobei die TeilnehmerInnen aus Großbritannien insgesamt ihre eigene psychische Gesundheit als schlechter bewerteten. Auch gaben mehr Personen aus Großbritannien an, vor der Pandemie deswegen in Behandlung gewesen zu sein. Die Behandlung psychischer Erkrankungen wurde während der Pandemie in beiden Ländern ähnlich weitergeführt. Die physische Gesundheit wurde in beiden Ländern vergleichbar eingeschätzt.

4. Ergebnisse der klinischen Fragebögen

4.1 SCL-27 (Symptom Checkliste – 27 Punkte)

Die SCL-27 ist ein Screening-Instrument für psychische Gesundheitsprobleme. Sie enthält sechs Subskalen zu depressiven, dysthymischen (i.e. chronisch depressiven), vegetativen, agoraphoben (i.e. Angst vor Überfüllung/Menschenansammlungen) und soziophoben (i.e. Angst vor Interaktionen mit anderen Menschen) Symptome sowie Symptome des Misstrauens und einen globalen Schweregradindex (GSI). Dieser gibt an, wie stark sich die Person insgesamt belastet fühlt, und war in der britischen Stichprobe insgesamt höher als in der deutschen (vgl. Abb. 5).

Abb. 5. Verteilung der GSI-Werte getrennt nach Ländern. Insgesamt war der GSI in der britischen Stichprobe höher als in der deutschen.

4.1.1 Ergebnisse der SCL-27

In den Subdiemensionen des SCL-27 erreichen in der Normalbevölkerung etwas 10-15% der den klinischen Cut-Off Wert (i.e., Schwellenwert, dieser gibt an, wie viele Personen aus einer Kohorte psychologisch untersucht und möglicherweise weiterbehandelt werden sollen). In der untersuchten Stichprobe lagen in fast allen Subskalen die Angaben der Personen deutlich über diesem Wert. Der Prozentsatz der Personen, die den klinischen Grenzwert überschritten, hatte sich bei den depressiven, dysthymischen und agroraphoben Symptomen sowie bei der sozialen Phobie sogar mehr als verdoppelt. Dieser Anstieg war in der britischen Stichprobe im Vergleich zu deutschen höher (vgl. Abb. 6).

27.0% der Probanden aus Großbritannien berichteten, dass diese Symptome während der Pandemie zugenommen haben, 3.6% berichteten über eine Abnahme und 64.1% von keiner Veränderung. In der deutschen Stichprobe gaben 22.8% an mehr Symptome zu erfahren, 2.5% weniger und 71.7% die gleiche Anzahl.

Abb. 6. Prozentwerte der ProbandInnen, die bei den Subdimensionen über dem klinischen Cut-Off-Wert liegen, aufgeteilt nach Ländern. Die gepunkteten Linien zeigen den Anteil der Normbevölkerung an, der den klinischen Schwellenwert für eine medizinische Weiterbehandlung erreicht. Bei allen Subdimensionen aus der vegetativen Symptomatik in Deutschland lagen die Angabe der Befragung darüber.

4.1.2 Zusammenhang zwischen möglichen Einflussfaktoren und dem klinischen Werten des SCL-27

Es zeigte sich, dass Personen aus Großbritannien und weibliche Teilnehmerinnen ebenso wie Menschen, die mehr soziale Media nutzen oder mehr Marihuana konsumieren, höhere GSI-Werte aufwiesen. Viel Schlaf unter der Woche (>8h) sowie viel Aufenthalt im Freien standen hingegen im Zusammenhang mit niedrigeren GSI-Werten.

Menschen, die mehr um ihre Lebensstabilität besorgt waren, und die auch schon vor der Pandemie von schlechterer psychischer und physischer Gesundheit berichteten, hatten einen höheren GSI-Wert. Bei Personen, die berichteten, dass die Qualität der sozialen Beziehungen durch die Pandemie nicht stark beeinträchtigt worden waren, hatten hingegen einen niedrigeren GSI-Wert.

4.2 SPQ (Schizotypische Persönlichkeitsfragebogen)

Der Schizotypische Persönlichkeitsfragebogen (SPQ) ist Selbstbeurteilungsfragebogen, der zur Erfassung schizotypischer Persönlichkeitsmerkmale dient.

4.2.1 Ergebnisse des SPQ

Die Angaben des SPQ erwiesen sich als ähnlich in den beiden Ländern.

Auch für die SPQ wurde die subjektive Einschätzung der Veränderung vor und während der Pandemie erfasst. Auch hier gaben die Personen eine Zunahme der Symptome um etwa 9% an, wobei die Hälfte der Befragten berichtete, zum ersten Mal diese Symptome zu erleben (vgl. Abb.7).

Abb. 7. Darstellung der subjektiven Veränderung schizotypischer Symptome während der Pandemie getrennt nach Ländern. Ungefähr 9% der Befragten gab an, diese Symptome während der Pandemie zum ersten Mal zu erleben.

4.2.2 Zusammenhang zwischen möglichen Einflussfaktoren und dem klinischen Werten des SPQ

Es zeigte sich, dass männliches Geschlecht, höheres Alter, bessere Ausbildung sowie Alkoholkonsum im Zusammenhang mit einem niedrigeren SPQ-Gesamtwert standen. Hoher Konsum von Tabak und Marihuana sowie die Nutzung von sozialen Medien und Videospiele wird mit einem höheren SPQ-Wert in Verbindung gebracht. Die häufige Nutzung von Printmedien ging mit einem niedrigeren SPQ-Wert einher, ebenso wie mehr Schlaf während der Woche und am Wochenende sowie mehr Zeit im Freien.

Während die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Pandemie mit einem niedrigen Wert im SPQ assoziiert wird, erwies sich die Sorge um die Stabilität des Lebens sowie stärkere finanzielle Betroffenheit als Risikofaktor. Wie auch bei der GSI hatten Menschen, die die über physische und psychische Probleme vor der Pandemie berichteten, höhere Werte im SPQ. Interessanterweise hat sich gezeigt, das Homeoffice bzw. unbezahlter Urlaub schützende Effekte auf den SPQ-Gesamtwert haben, während keine Veränderungen am Arbeitsplatz mit höheren Werten im Zusammenhang stehen.